Elternarbeit
BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann über den idealen Ablauf von Elterngesprächen, "tief tauchen" und die ultimative Exit-Strategie.
Besser man spricht es offen an.
Frau Fleischmann, in der Lehrerbildung spricht man vom Praxisschock. Gibt es auch einen Eltern-Praxisschock?
Ja klar, und wie auf den ersten Unterricht bereiten sich Berufsanfänger immens vor auf die ersten Elterngespräche. Aber die Realität ist dann meistens doch eine andere und man merkt: Viel läuft über Empathie.
Auf ihre Empathie können sich alte Hasen verlassen, die wie Sie eine Schule geleitet haben. Wie können die Erfahrenen den Unerfahrenen konkret helfen? Sollten sie am Anfang mit ins Gespräch gehen?
Darum bin ich tatsächlich gebeten worden. Ich habe nein gesagt. Man sollte das auf keinen Fall tun. Es wirkt auf die Gesprächspartner wie das Eingestehen einer Schwäche: Ich kann das nicht allein.
Aber so ganz allein lassen kann man die jungen Kolleginnen und Kollegen doch wohl nicht. Wie bereiten Sie jemanden auf ein möglicherweise brenzliges Gespräch vor?
Wir hatten eine junge Kollegin in der vierten Klasse. Die bekam, wenn sie aufgeregt war, rote Flecken am Hals. Der habe ich empfohlen, ein Halstuch umzulegen.
Nervösität zu kaschieren kann noch nicht die Garantie dafür sein, dass das Gespräch gelingt.
Natürlich nicht. Und selbstverständlich habne wir das Gespräch gemeinsam professionell vorbereitet. Man muss strategisch vorgehen. Dazu gehört, dass man erst mal die unterschiedlichen Typen von Eltern kennt. Typ eins ist sauer auf jemanden oder etwas und gleichzeitig kompetent. Typ zwei kommt nur, wenn man mehrfach einlädt, hat oft einen kulturell anderen Hintergrund und außerdem Angst vor der Lehrperson. Typ drei hält viel von einem, kommt andauernd und sucht eigentlich Sicherheit. Ein vierter Typ liegt so irgendwo in der Mitte und verhält sich mal so mal so. Das sind nur vier von weiteren Typen.
Wie sieht die Strategie jeweils aus?
Typ eins will seinen Ärger und seinen Frust abladen. Dem gibt man Möglichkeiten dazu und lässt so erst mal die Luft raus. Dann kommt man zum Thema und versucht, die emotionalen Kicks immer wieder zu spiegeln und auf eine saubere Ebene zu bringen. Bei Typ zwei ist eine anlassunabhängige Kontaktaufnahme das Beste, das Gespräch darf nicht angstbesetzt sein. Man kann zu einem Plätzchenbacken einladen, gemeinsam basteln, das Stationenarbeiten erleben lassen oder an einem Abend einen Kinderfilm anschauen. Bei Typ drei muss man ein enges Zeitfenster festlegen. Man ist ja als Hausherr grundsätzlich selbst für die Atmosphäre verantwortlich, also auch für das Zeitbudget. Bei Typ vier darf man auf keinen Fall einfach mal so ins Gespräch gehen, ohne zu wissen, worum es gehen soll. Das fragt man vorher freundlich in einem Anruf oder einer Mail ab. Wenn ich es bin, die das Gespräch sucht, muss ich mitteilen, worum es konkret gehen soll. Transparenz im Vorfeld ist das A und O.
Was muss der Hausherr noch bedenken?
Den Ort des Treffens: Bei ernsthaften Gesprächen bitte keinesfalls das Klassenzimmer. Da lenken Hefte, Bilder an der Wand, Blumen viel zu viel ab. Besser in einem eigenen Elternsprechzimmer - wo die Stühle gleich hoch sind. Auch die Sitzordnung muss passen. Manche sitzen gerne geschützt auf der anderen Seite des Tisches, andere lieber offen über Eck. Mein Tipp an die junge Lehrkraft: Das Wichtigste ist, dass du dich selbst wohlfühlst, nur dann kannst du gut sein.
Wie läuft denn ein Gespräch idealerweise ab?
Es braucht eine Smalltalkphase, eine Eröffnungsphase, das eigentliche Gespräch und eine Zusammenfassungsphase. Über das Wetter, das Kleid, die Stimmung, den Raum lässt sich immer gut ein wenig plaudern. In der Eröffnungsphase nennt man dann die zwei, drei Punkte, über die man reden möchte. Während des eigentlichen Gesprächs Protokoll zu führen ist sehr wichtig: einerseits zur Dokumentation und Absicherung, andererseits um die Wertigkeit des Gesprächs zu unterstreichen und sich in Zukunft darauf beziehen zu können...
...reden, zuhören, schreiben - ganz schön komplex. Kommt man da nicht ins Schleudern?
Wenn es zu schnell geht, sage ich: einen Moment bitte, das muss ich gerade notieren. Es kommt auf den Härtegrad des Gesprächs an, ob man sich das Protokoll am Ende abzeichnen lässt. Ich hefte es im Schülerbeobachtungsbogen ab, und beim nächsten Gespräch hole ich den Zettel dann wieder raus und sage: "Bei unserem letzten Gespräch am soundsovielten ist ja noch ein Punkt offen geblieben..." - so etwas wirkt sehr professionell. Für den Abschluss kann ich zum Beispiel sagen: "Ich bin froh, dass wir das besprechen konnten, dass ich mit dem Lukas das morgen gleich angehen kann und finde es klasse, dass Sie sich mehr um seine Hausaufgaben kümmern wollen." Am Schluss braucht es etwas, was die Eltern mit einem guten Gefühl entlässt und positive Stimmung macht.
Und wenn es doch zu komplex wird?
Man sollte vorher merken, dass das der Fall sein könnte, und Hilfe von außen dazu holen. Im Fall eines sehr schwierigen Mädchens in einer unserer ersten Klassen zum Beispiel wusste keiner mehr weiter. Das Mädchen war ängstlich, wollte einfach nicht in die Schule kommen. Das Kind war eindeutig geistig behindert, die Eltern, Leute aus der sogenannten Upperclass, wollten das aber nicht wahrhaben.
Genau solche Gespräche machen Bammel.
Ja, da spielen so viele Ängste mit, das schafft auch eine erfahrene Lehrerin nicht allein, da braucht es professionelle Unterstützung. Zum Elterngespräch habe ich daher den Therapeuten des Mädchens gebeten, die Logopädin, die Kollegin der Ganztagesbetreuung, die Moderation habe ich an die Schulpsychologin übertragen. Diesen runden Tisch haben wir über zwei Monate hinweg alle zwei Wochen einberufen. Es hat zwei Gespräche gedauert, bis die erforderliche Offenheit da war. Am Ende haben wir uns darauf geeinigt, dass das Kind nur noch vier Stunden pro Tag kommen muss, das Kind hat ein Training durch den Mobilden Sonderpädagogischen Dienst des Förderzentrums bekommen. Erfolg hatten wir letztlich, weil alle an einem Strang gezogen haben. Das Fazit: Wenn die Beziehung stimmt, kommst du überall weiter.
Sind Sie auch mal gar nicht weitergekommen?
Ja, da haben Eltern uns unterstellt, wir seien ausländerfeindlich. Die Mutter hat ein Netzwerk im Ort gegen mich gegründet und ist an die Presse gegangen. Irgendwann lässt sich einfach nichts mehr machen. Ich wollte aber auch nicht mehr so mit mir reden lassen. Der Junge wurde dann auf Weisung des Schulamts in eine andere Schule versetzt. Das Thema aber blieb.
Man hört immer wieder mal sogar von Handgreiflichkeiten.
Wenn man merkt, dass ein Gespräch entgleist, hilft nur noch, es abrupt aber professionell zu beenden. Man sagt dann etwa: "Ich gebe zu, ich komme jetzt nicht mehr weiter, ich bitte Sie, den Raum zu verlassen, ich komme wieder auf Sie zu." Da muss man Ich-Botschaften senden und formulieren, dass man so nicht mehr gemeinsam arbeiten kann. Hart in der Sache, aber fair im Umgang.
Kann man so was üben?
Mit Junglehrern aus den Seminaren übe ich das "Tief tauchen". Das Konzept geht davon aus, dass bei einer Kommunikation wie bei einem Eisberg vieles unter der Oberfläche liegt. Wenn mich also einer anbrüllt, dann würde ich sagen: "Wenn Sie mich hier anbrüllen, dann denke ich, dass das mit dieser Note 3 gar nichts mehr zu tun hat. Ich habe den Eindruck, dass da etwas anderes eine Rolle spielt." Man muss souverän genug sein, zu sagen: "Wenn Sie mir eine Interpretation erlauben: Ich habe den Verdacht, dass Sie gerade auf einer ganz anderen Baustelle unterwegs sind, dass Sie vielleicht sogar meine Kompetenz anzweifeln."
So etwas erfordert Selbstbewusstsein.
Ja, weil man sich sehr offen zeigt. Wenn aber irgendein Gefühl herumwabert, dann kann es passieren, dass man in drei Gesprächen hintereinander viel Zeit verliert. Besser man spricht es offen an: "Nach dem letzten Gespräch hatte ich das Gefühl, wir sind gar nicht zusammengekommen. Ich muss jetzt mal loswerden, wie ich das erlebt habe, Sie können mir dann auch gleich sagen, wie Sie es erlebt haben." Das sind typische Tief-Tauch-Sätze, die sehr zielführend sind.
Wo lernt man so was?
Nicht an der Uni. Ich habe mich in extra Seminaren und Trainings weitergebildet. Auch kollegiale Hospitation und Beratung in Coaching-Gruppen bringt sehr viel. Ich bin auch ständig in Supervisionen gegangen und habe meine schulische Praxis professionell und mit Profis reflektiert.
Auf eigene Kosten?
Ja, leider. Der BLLV fordert, dass so etwas verpflichtender Bestandteil des schulischen Alltags wird, zur Dienstzeit zählt und bezahlt wird. Die Sache mit dem Schal um den Hals kann ja wirklich nicht die Lösung sein.
Das Interwiev führte Chris Bleher.